Zahlen wider Ideologien
Wie sich die Zeiten ändern: Fragten sich in der Vergangenheit Politiker und Bürger im Ausland gleichermaßen, wie Deutschland denn wohl seine Energiewende hinbekommen wird, so sorgen sie sich heute, ob der einstige Vorreiter in Sachen erneuerbare Energien das überhaupt noch hinbekommen will.
Selbst der Europäische Rechnungshof meldet sich inzwischen zu Wort und bemängelt in seiner Mitte September erschienenen „Landscape-Analyse Maßnahmen der EU in den Bereichen Energie und Klimawandel“ mit Verweis auf eine Prüfung des deutschen Bundesrechnungshofs von 2016 unter anderem bemerkenswert deutlich die deutsche Energie- und Klimaschutzpolitik. Weil man es prägnanter kaum formulieren kann, zitiere ich hier wörtlich: „Im Rahmen der Prüfung wurde festgestellt, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie keinen Überblick über die Gesamtkosten der Energiewende hatte, die verschiedenen Verwaltungsebenen nicht koordiniert vorgingen und die Kosteneffizienz bei der Auswahl der unterstützten Maßnahmen unberücksichtigt blieb.“
Was mit mangelnder Kosteneffizienz gemeint ist, wird wenig später erläutert: „Im Jahr 2016 stellte der Bundesrechnungshof fest, dass mit einem Marktanreizprogramm für die Wärmeerzeugung aus erneuerbaren Energien ineffiziente Technologien und bereits auf dem Markt etablierte Technologien finanziell unterstützt wurden.“ Gemeint ist hier die Förderung von Ölheizungen. Und weiter im Text: „Außerdem wurde im Rahmen dieses Programms nicht überprüft, ob die Antragsteller die finanzielle Unterstützung tatsächlich benötigten.“ Konkret setzt es Kritik am: „Fehlen hinreichender Begründungen für die nationale Unterstützung von energieintensiven Unternehmen, bei denen das Risiko einer Verlagerung von CO2 -Emissionen vermutet wird.“ Trauriges Fazit des Rechnungshofes: Deutschland muss wie auch die übrigen EU-Staaten erheblich mehr tun, um die Klimaschutzziele zu erreichen.
„Aber was soll das kosten?“, höre ich schon die Kritiker fragen! Die Antwort darauf gibt ein Report der Standford University „100 % Clean and Renewable Wind, Water, and Sunlight All-Sector Energy Roadmaps for 139 Countries of the World“. Um es kurz zusammenzufassen: Eine globale Energiewende zu 100 % Strom aus Wind, Wasserkraft und Solarenergie bis 2050 wird in diesen 139 Ländern einen Verlust von 27,7 Millionen Vollzeit-Arbeitsplätzen und von Einnahmen in Höhe von ca. 1,86 Billionen Dollar pro Jahr aus dem Bereich konventioneller Energieträger bedeuten.
Dem stehen aber 52 Millionen neu geschaffene Vollzeit-Arbeitsplätze gegenüber – mithin ein Nettozuwachs von 24,3 Millionen Stellen. Und in diesen Zahlen sind Arbeitsplätze in Bereichen wie Wasserstoff-Erzeugung und –Speicherung, Elektromobilität, elektrische Heizung und Kühlung noch nicht einmal eingerechnet. Nur stark von der Erdölproduktion abhängige Staaten wie Algerien, Angola, Irak, Kuwait, Libyen, Nigeria, Qatar und Saudi-Arabien würden von einem Netto-Verlust getroffen. Die jährlichen Einnahmen aus der regenerativen Energieerzeugung würden gleichzeitig bei 2,06 Billionen Dollar liegen. Darüber hinaus würden Umweltschäden von mindestens 4,6 Billionen Dollar pro Jahr vermieden. Man sieht: Ein „Weiter-so“ käme uns in mehrfacher Hinsicht teuer zu stehen.
Nachsatz: Den Befürwortern einer Energiewende wird gern Dogmatismus und ideologische Verblendung nachgesagt. Wer angesichts der Stanford-Zahlen – zum Beispiel in Koalitionsverhandlungen – Beschlüsse fasst, die geeignet sind, den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien zu bremsen, muss sich ernsthaft fragen lassen, wer denn hier ideologisch verblendet an untauglichen und unwirtschaftlichen Lösungen der Vergangenheit festhalten will.
(veröffentlicht in SONNE WIND & WÄRME 10/2017)